K. Werner
"Maschenka" - Vladimir Nabokov
Eine Erzählung über die erste Liebe und wie die Beschäftigung mit Weltliteratur zu unangenehmen Gefühlen führen kann...

Vladimir Nabokov erzählt in seinem Roman "Maschenka", seinem ersten Roman, den er noch unter dem Pseudonym V. Sirin veröffentlichte, von Lev Ganin. Berlin der frühen 1920er: Ganin ist Russe. Geflohen aus dem Land das durch den Bürgerkrieg zerrüttet wurde. Er war ehemaliges Mitglied der weißen Armee und wie er genau nach Berlin kam, kann Ganin am Ende selbst nicht so richtig erklären.
Ganin ist jedenfalls in einer Pension gestrandet, die von anderen russischen Flüchtlingen bevölkert ist. Wie einige der anderen ist es finanziell nicht gut um ihn gestellt und er weiß, dass er die Pension am Ende der Woche aus Geldmangel verlassen muss. Seine Mitbeweohner mag er eigentlich gar nicht so richtig. Eine besondere Abneigung scheint er gegen seinen Zimmernachbarn Alferoff zu haben. Alferoff wartet auf die Ankunft seiner Frau, die er in Russland zurücklassen musste. Sie solle sehr jung sein und just an dem Tag anreisen, an welchem Ganin gedenkt sein Zimmer zu räumen. Alferoff gibt gerne mit seiner Frau an und zeigt Ganin schließlich ein Foto von seiner hübschen Frau. Unglaublich aber wahr so ist es ein Mädchen, mit dem Ganin vor dem Krieg eine Liaison gehabt hatte.
In den nächsten Tagen versinkt Ganin in die Erinnerung an dieses Mädchen. Seine erste große Liebe mit der es ernster gewesen war. Wie wir es alle tun scheint er die Vergangenheit zu überhöhen. Ich möchte jetzt auch nicht verraten, ob Ganin und Maschenka sich am Ende des Buches treffen und wie dieses Aufeinandertreffen aussehen könnte. Vielmehr führt es vor Augen, dass es wohl überall auf der Welt gleich ist, wenn man sich das erste Mal verliebt und später daran zurück denkt. Alles scheint von einem goldenen, warmen Licht umgeben zu sein.
Auf das Buch gestoßen bin ich durch das Sachbuch "Die Liebe in Zeiten des Hasses", in dem auch Nabokov und seine Frau Véra eines jener Liebespaare sind, die in dieser Zeit des Umbruchs in Europa begleitet werden. Nabokov's Roman Maschenka trägt durchaus auch autobiografische Züge, so musste seine Familie mit aristokratischem Hintergrund ebenfalls nach der Oktoberrevolution fliehen. Russland und Flucht. Das sind auch die beiden Elemente, die mich beim Lesen etwas in die Bredouille brachten. Wie unbekümmert darf man heute zu russischer Literatur greifen? Oder sich ein Ballett von Tschaikowski ansehen? Sich lobend darüber äußern? Und noch ein zweites Thema, das gerade in den letzten Wochen leider immer wieder in den Schlagzeilen war: Nabokov ist insbesondere auch durch seinen Roman "Lolita" bekannt. In diesem thematisiert er Pädophilie. Das wissend stellt man sich natürlich dann die Frage: Wie zulässig sind die Beschreibungen der Erinnerungen an das junge Mädchen Maschenka, über die Nabokov in seinem Roman sinniert? Sind sie Grenzwertig?
"Maschenka" ist auf jeden Fall ein Buch, das einen die Verblendungstendenzen der eigenen Erinnerungen vor Augen führt. Sonst ist es ein Werk klassischer russischer Erzählkunst und eine Fortsetzung der Granden Puschkin, Dostojewski und Tolstoi. Auf alle Fälle braucht es aktuell bei der Auseinandersetzung mit russischer Literatur einen sehr differenzierten Blick. Ein Hinterfragen von Strukturen, Erzählsträngen und auch politischen Botschaften, die in diesen Altwerken enthalten sind und die bis heute nachwirken. Diesen differenzierten Blick wünsche ich jeder Leser:in - man kann sich dabei auf jeden Fall nicht nur zeitlose Liebesromane zu Gemüte führen, sondern es auch als Anlass nehmen etwas über den russischen Charakter und die Geschichte Russlands zu lernen.